Im Rahmen der Weiterentwicklung der Behindertenpolitik findet einmal jährlich ein grösserer Austausch zwischen Bund, Kantonen und der Zivilgesellschaft statt, bei dem es auch Raum und Gelegenheit für Diskussionen und die Vernetzung zwischen allen Akteuren geben soll.
Ziel dieses Austausches ist es, ein gegenseitiges Verständnis über die «Positionierungen» im Kontext des Staatenberichtsprüfungsverfahren der UNO BRK zu gewinnen und die Argumente der beiden Gruppen Behörden und Zivilbevölkerung zur Kenntnis zu nehmen.
Unterschiedliche Akteure der Behindertenpolitik kamen am gestern stattfindenden Anlass zu Wort. So durfte ich aus dem Bereich der Politik daran teilnehmen.
Mein Input:
Markus: «Sag Ihnen, dass ich gehört werden will und bitte erkläre, dass meine Behinderung nur für die anderen eine ist.»
Lars: «Dass der Absatz am Gehsteig für mich im Rollstuhl die grössere Hürde darstellt, als das Verständnis meiner Klassenkameraden für meine Behinderung, zeigt, dass es am Geld liegt.»
Antonia: «Nur weil ich ständig mit dem Kopf wackle heisst das nicht, dass ich Goethes Faust nicht verstehe. Aber die Reise ins Theater am Rigiblick bereitet mir finanziell tatsächlich Kopfzerbrechen.»
«Für die Einladung zum heutigen Austausch danke ich Ihnen bestens. Ich freue mich, Sie heute persönlich kennenlernen zu können, denn es braucht meines Erachtens uns alle, um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in der Schweiz voranbringen zu können. Die eingangs erwähnten Bitten und Forderungen sind nicht erfunden. Sie wurden mir auf meinen Weg ins Bundeshaus mitgegeben.
Für mich ist die Gleichstellung ein Kernanliegen, für das ich im Nationalrat mit Vehemenz kämpfe. Dabei ist mir der enge Austausch mit Menschen mit Behinderungen wichtig. Ich pflege ihn täglich einerseits durch meinen Beruf als Heilpädagogin und andererseits durch ein grosses Netzwerk an Betroffenen im Freundeskreis und Freunde von Freunden. Es ist mir wichtig, die Anliegen von Betroffenen erfolgreich ins Parlament zu tragen, Geschichten zu kennen und erzählen zu können.
Menschen mit Behinderungen und ihnen nahestehende Personen wissen selbst am besten, was es braucht, um Partizipation und Inklusion in der Gesellschaft zu verwirklichen. So haben mich beispielsweise Berichte von Menschen mit eingeschränkter Lautsprache dazu bewogen, im Parlament die Frage nach Wegen zur Stärkung der „Unterstützten Kommunikation“ (UK) aufzuwerfen. Denn wenn der Zufall bestimmt, ob meine Betreuerin bemerkt, dass ich augengesteuert völlig kompetent mitreden kann, dann hat das mit Gleichstellung wenig zu tun.
Auch sehr bewegt hat mich der Bericht eines cerebral gelähmten Mannes, der in einem Wohnheim lebt. Er besitzt nur wenige Möglichkeiten, das Heim zu verlassen, weil für ihn die Behindertenfahrdienste einfach zu teuer sind. Mit einem von CVP, FDP GLP und EVP und Grünen breit abgestützten Postulat habe ich dieses Thema im September politisch bereits aufgenommen.
Für mich ist es selbstverständlich, dass ich Vorstösse im Dialog mit Organisationen von Menschen mit Behinderungen erstelle. Und natürlich ist es für mich hilfreich, wenn diese Organisationen untereinander einen Austausch pflegen.
Begeistert bin ich von der UNO-Behindertenrechtskonvention. Sie legt einerseits die Rechte von Menschen mit Behinderungen ganz konkret fest und verpflichtet andererseits den Staat dazu, Massnahmen zur Gleichstellung zu ergreifen. So wie ich die UNO-BRK verstehe, ist die Partizipation von Menschen mit Behinderungen das Kernanliegen, das auf allen föderalen Stufen umzusetzen ist. Die eingangs angeführten Beispiele zeigen mir, dass das so richtig ist.
Wichtig scheint mir ebenso, dass die Partizipation von Menschen mit Behinderungen sowohl bei der Umsetzung wie auch der Überwachung der UNO-BRK berücksichtigt wird.
Ich habe den Eindruck, dass wir in der Schweiz den Paradigmenwechsel weg von einem Fürsorgemodell hin zu einem menschenrechtlichen Modell noch nicht vollzogen haben. Noch viel zu häufig werden die Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht umgesetzt und ihre Partizipation bei Themen, die sie betreffen, nicht gewährleistet. Es gilt hier den Föderalismus verbessernd zu unterstützen. Leider führt er im Moment in Sachen Finanzierung zu einer Abwärtsspirale. Kantonale Unterschiede sind sehr ungerecht. Massnahmen sollten möglichst nah am Leben der Betroffenen, also eines jeden Einzelnen, sein und dafür sind die Kantone, ja gar die Gemeinden eben bestens geeignet. Gut, dass es Tage wie heute gibt. Sie helfen mir bei der Beantwortung der Frage: Was können wir gemeinsam unternehmen, damit ihr bei eurem Engagement von der Politik noch stärker unterstützt werdet und wie gelingt es uns, die Führungsebene bei Bund und Kantone so einzubinden, dass der Handlungsspielraum erweitert wird.
Gespannt bin ich auf das Staatenberichtsverfahren zur UNO-Behindertenrechtskonvention von nächstem Jahr. Für mich stellt sich die Frage, wie die Schweiz mit den Empfehlungen des Ausschusses umgehen wird. In welchem Verfahren wird die Schweiz festlegen, welche Empfehlungen wie, von wem, wann und in welcher Priorität umgesetzt werden? Wie werden Menschen mit Behinderungen dabei einbezogen? Ich hoffe, dass ich heute dazu Antworten bekomme.
Und ich hoffe fest, dass die Schweiz das Fakultativprotokoll zur UNO-BRK möglichst bald ratifiziert, damit Menschen die ihnen im Rahmen der UNO gewährten Rechte auch vor dem Ausschuss geltend machen können. Was für mich überhaupt nicht klar ist, wieso der Bundesrat die Ratifizierung des Zusatzprotokolls von der Einschätzung des Ausschusses zur Umsetzung der UNO-BRK durch die Schweiz, die im Rahmen des Staatenberichtverfahrens erfolgt, abhängig macht, vgl. BR-Antwort zu Motion 19.4424. Würde eine zu harsche Kritik des Ausschusses dazu führen, dass das Zusatzprotokoll nicht ratifiziert wird? In anderen Bereichen hat die Schweiz die Mitteilungsverfahren ja übernommen (Uno-Übereinkommen gegen Folter, Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau und zuletzt zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes).
Im Bericht des Bundesrates zur Behindertenpolitik von 2018 steht am Schluss:
Die Schweiz ist mit der Ratifizierung der UNO-BRK Verpflichtungen eingegangen. Sie verpflichtet sich, dafür zu sorgen, dass die Hindernisse, mit denen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz konfrontiert sind, abgebaut werden und sie verpflichtet sich, Menschen mit Behinderungen gegen Diskriminierung zu schützen und ihre Inklusion und Gleichstellung in der Gesellschaft zu fördern…..
Die vorgeschlagenen Massnahmen sind darauf ausgerichtet, die Grundlage für eine proaktive, umfassende und kohärente Behindertenpolitik zu schaffen und in einer längerfristigen Perspektive zur weiteren Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen beizutragen. Sie sollen dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderungen ihre Rechte wahrnehmen, ihr Potential entfalten und als selbstverständlich zugehöriger Teil der Gesellschaft wahrgenommen und am gesellschaftlichen Leben selbstbestimmt teilhaben können.
Cédric, ein junger Mann mit einer Autismusspektrumsstörung meinte zu mir, als er die Antwort des Bundesrates auf meine Motion zur Ratifizierung las:
„Pontius Pilatus hätte sie nicht besser schreiben können. Wenn nicht jetzt, wann dann?“
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